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In-Haus Radio · Einführung – Koloniales Erbe in Köln Kolonialzeit. Alles Vergangenheit? Schnee von gestern ohne jegliche Bedeutung für die Gegenwart? Oder: Schlimm. Aber holte Afrika immerhin aus…

In-Haus Radio · Einführung – Koloniales Erbe in Köln

Kolonialzeit. Alles Vergangenheit? Schnee von gestern ohne jegliche Bedeutung für die Gegenwart? Oder: Schlimm. Aber holte Afrika immerhin aus archaischen Zuständen raus? Solche Sichtweisen sind leider sehr verbreitet und bestätigen einmal mehr den Satz: „Der Sieger schreibt Geschichte.“

Die deutsche Kolonialzeit ist bis heute in mehrfacher Hinsicht relevant – so beispielsweise im Bereich globaler wirtschaftlicher Beziehungsgeflechte, beim Thema Flucht und Migration oder wenn es um Rassismus und Identität in Deutschland geht. Selbst der menschengemachte Klimawandel bzw. die damit verbundene Klimaungerechtigkeit muss hier aufgezählt werden. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum wir kaum etwas über die deutsche Kolonialgeschichte und ihre Bezüge zur Gegenwart wissen.

Erstens: im Gegensatz zu einer seit Jahrhunderten betriebenen Kolonialpolitik durch Mächte wie Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Spanien oder Portugal ist Deutschlands Geschichte als Staat vergleichsweise kurz. Erst mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 klinkte sich Deutschland in die damalige Weltpolitik ein. Auch vor diesem Hintergrund ist der in der deutschen Kolonialzeit geprägte Ausdruck „Platz an der Sonne“ von 1897 zu verstehen: Die „verspätete Nation“ Deutschland beanspruchte nun neben den etablierten Mächten, die schon seit Kolumbus und Co. aktiv waren, auch Einflusssphären in der Welt. Spät zu Kolonialbesitz gelangt, endete die Kolonialzeit schon wieder nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg 1918/19. Bis heute wird daher immer wieder darauf verwiesen, dass die deutsche Kolonialzeit nur kurz währte und daher historisch gesehen kaum relevant für die Gegenwart sei.

Zweitens: die berechtigte Aufmerksamkeit, die die Erinnerungspolitik rund um das Kapitel des Nationalsozialismus erfordert, lässt kaum Raum für eine angemessene Berücksichtigung anderer Epochen unserer Geschichte, die für unsere Gegenwart relevant sind.

Wenn wir uns mit deutschen Kolonialaktivitäten und ihren Auswirkungen befassen wollen, müssen wir aber schon viel früher und zwar beim transatlantischen Versklavungshandel anfangen. Er schuf den Rassismus als pseudomoralische Rechtfertigung für ein unmenschliches Wirtschaftssystem und finanzierte die Industrialisierung. Von dieser größten Zwangsmigration der Geschichte, die den afrikanischen Kontinent schätzungsweise 60 Millionen Menschen in etwa 400 Jahren kostete, profitierten auch Deutsche.

Die hektisch betriebene Aufteilung Afrikas, deren Höhepunkt die Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 darstellte, wäre ideologisch ohne diese Vorgeschichte undenkbar. Nun war Deutschland von Beginn an offiziell beteiligt und sicherte sich mit betrügerischen Verträgen und Waffengewalt einen Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten für die entstehende Industrie.

In allen deutschen Kolonien – Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Neuguinea, Deutsch-Samoa und Kiautschou gab es Widerstand. Im damaligen Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia) mündete die aggressive Siedler*innenpolitik, die 75 % des Landes der Deutschen zusprach, in den ersten Völkermord des 20. Jh. Je nach Schätzung gab es bis zu 100.000 Tote auf der afrikanischen Seite. Etwa vier von fünf waren Herero, der Rest Nama. Das entsprach der Hälfte der Bevölkerung vor Ort. Einige starben in den ersten deutschen Konzentrationslagern. Der Großteil kam in der Omaheke-Wüste um, nachdem das deutsche Militär sie dorthin abgedrängt hatte.

Im damaligen Deutsch-Ostafrika – heute Tansania, Ruanda, Burundi und Teile des nördlichen Mozambik – forderte der Maji Maji-Aufstand schätzungsweise 300.000 Opfer. Zum Vergleich: nur 15 Deutsche starben. Die Entvölkerung ganzer Landstriche führte zum Teil dazu, dass sich Wildtiere wieder ausbreiten konnten. Wer heute also in Tansania auf Safari ist, sollte sich bewusst sein, dass es sich nicht immer um das vermeintlich „ursprüngliche, unberührte Afrika“ handeln muss, das sie / ihn gerade umgibt.

Die brutale Niederschlagung des Widerstandes in China war von Kaiser Wilhelm II. persönlich in seiner sogenannten Hunnenrede 1900 abgesegnet worden.

Die Kolonialzeit ist vorbei. Ihre Erbe wirkt jedoch bis in die Gegenwart hinein. Ein Beispiel dafür sind die Straßennamen und andere Orte, die bis heute unreflektiert Kolonialverbrecher ehren. Auch in Köln gibt es zahlreiche solche Orte, die mit der digitalen Karte erkundet werden können.

Von Serge Palasie

Serge Palasie (M.A. Afrikanistik) ist Fachpromotor für Flucht, Migration und Entwicklung beim Eine Welt Netz NRW. Er befasst sich mit der transatlantischen Umverteilungsgeschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Diese Geschichte, die durch den transatlantischen Versklavungshandel und Kolonialismus geprägt ist, muss in einem Deutschland, das sich im eigenen Interesse von der Idee einer ethnisch homogenen Nation verabschieden sollte, zunehmend berücksichtigt werden, wenn es um Themen wie Rassismus, unfaire globale Handelbeziehungen, Klimaungerechtigkeit oder Entwicklungspolitik geht.